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22
Jun
2016

Ein-Euro-Jobs: Grundsätzliche Überlegungen

Außenminister Kurz hat weniger einen klassisch arbeitsmarktpolitischen Vorschlag gemacht als eine sozialpolitische Frage gestellt.

Vergangenen Donnerstag um 11:23 Uhr kam über die Nachrichtenagentur APA eine sogenannte Alarmmeldung, also die Ankündigung einer späteren APA-Meldung mit dem Titel “Kurz will Pflicht zu Ein-Euro-Jobs und Burkaverbot”. Typisch für die Sommermonate stieg die Aufregung und Intensität auf Twitter gleich deutlich an. Ein besonders sinnvoller Tweet kam dabei von ATV-Moderator Martin Thür:

Bevor wir uns empören, bitte definieren: Flüchtlinge, Pflicht, Ein-Euro-Job”.

Das “Mittagsjournal” brachte am selben Tag nähere Details und Außenminister Sebastian Kurz zu seinem Vorschlag im O-Ton: “Wer in Österreich als anerkannter Flüchtling lebt und am Arbeitsmarkt keine Chance hat, einen Beitrag zu leisten, der sollte nicht zu Hause oder im Park herumsitzen und von der Allgemeinheit leben, sondern er sollte in unserer Gesellschaft teilhaben.” Und später: “Wer in Österreich lebt, der muss seinen Beitrag leisten. Wer das am Arbeitsmarkt nicht tun kann, weil er keinen Job findet, weil er zu schlecht ausgebildet ist, der sollte gemeinnützig einen Beitrag leisten können. Aber wer nicht bereit ist, gemeinnützig einen Beitrag zu leisten, und von der Allgemeinheit versorgt wird, der soll damit rechnen, dass seine Sozialleistungen gekürzt werden, alles andere ist ungerecht.

Eine sozialpolitische Frage

Der Vorschlag von Bundesminister Kurz betrifft offenbar Personen, die am Arbeitsmarkt “keine Chance” haben. Daraus wird schon klar ersichtlich, dass das Ziel einer solchen Maßnahme nicht die Arbeitsaufnahme am ersten Arbeitsmarkt per se sein kann, denn sonst könnte ja mit dieser oder einer anderen passenden arbeitsmarktpolitischen Förderung eine solche Chance eröffnet werden. Kurz hat damit primär weniger einen klassisch arbeitsmarktpolitischen Vorschlag gemacht, sondern vielmehr eine allgemein sozialpolitische Frage angesprochen: Muss jemand, der jahrelang von der Allgemeinheit lebt und bei dem trotz Bemühungen keine Veränderung der Situation erzielt werden kann, der Gesellschaft etwas zurückgeben? Es geht also im Kern eigentlich um eine Frage nach der Solidarität und deren Belastbarkeit. Mir ist nicht bekannt, dass es dazu aktuelle Meinungsumfragen gibt, aber es würde mich nicht wundern, wenn große Teile der Bevölkerung die genannte Frage mit Ja beantworten würden, jedenfalls solange es sie selbst nicht betreffen könnte.

Wer wäre betroffen?

Ob man eine solche Verpflichtung zur gemeinnützigen Arbeit bei Bezug von Sozialleistungen will oder nicht — und auch, für wen sie gelten soll, denn natürlich stellt sich in der Folge rasch die gleiche Frage etwa auch für österreichische, ältere Langzeitarbeitslose (siehe dazu bereits am nächsten Tag Sozialrechtsexperte Wolfgang Mazal in der “Presse”) –, ist eine Frage, die man ohne weiteres diskutieren kann und die letztlich das Parlament entscheiden müsste. Wer könnte das sein, der überhaupt keine Chancen am Arbeitsmarkt hat? Auch wenn sich statistische Integrationschancen aufgrund einer Reihe persönlicher Eigenschaften wie Alter, Ausbildung, Berufserfahrung, Region, Kinderbetreuungspflichten, Auto etc. heute sogar schon näherungsweise errechnen ließen, so gibt es doch auch eine Reihe von Faktoren, die für eine solche Prognose nicht zur Verfügung stehen. So zum Beispiel persönliche Motivation, Netzwerke, Glück oder auch Flexibilität. Denken wir an den “schwierigen Fall” eines vielleicht 40-jährigen Afghanen, der noch nie in seinem Leben eine Schule besucht hat und bisher nur Soldat war. Selbst wenn hier eine Alphabetisierung und spätere Qualifizierung aus irgendwelchen Gründen nicht möglich wäre, so ist es doch nicht undenkbar, die Person, sobald einfache Deutschkenntnisse vorliegen, für Hilfstätigkeiten in der Landwirtschaft unterzubringen. Zielgruppe eines solchen Vorschlags würden also wohl Personen sein, bei denen vieles schon erfolglos und oft jahrelang versucht worden ist.

Der arbeitsmarktpolitische Aspekt

Kurz hat aber auch eine ungeheuer wichtige arbeitsmarktpolitische Frage angesprochen, für die wir noch keinerlei befriedigende Lösung haben. Was machen wir generell mit arbeitslosen Menschen, auch Inländerinnen und Inländer, deren nachhaltige Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt jahrelang einfach nicht gelingt? Welche Perspektiven bieten wir diesen? Gesundheitliche Einschränkungen, psychische Probleme, schlechte Qualifikation, Alter usw. sind dafür — meist in Kombination — häufige Ursachen. Arbeit hat ja nicht nur den Zweck, damit Geld zu verdienen, sondern ist in vielen Fällen auch sinnstiftend und bietet Möglichkeit der Teilhabe an unserer Gesellschaft. Noch gehen die Zielvorgaben an das AMS davon aus, dass bei jeder oder jedem Arbeitssuchenden das Ziel eine dauerhafte Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt sein muss. Auch wenn jetzt insbesondere die Frage des Zwangs heftig diskutiert wird, gibt es wahrscheinlich gar nicht so wenige arbeitslose Menschen, die nach langer, erfolgloser Jobsuche gerne solche Tätigkeiten auch freiwillig annehmen würden, wenn sie damit nicht nur finanziell etwas besser gestellt wären, sondern darin auch einen gemeinnützigen Sinn erkennen könnten. Zweiter Arbeitsmarkt — gar nicht trivial Überlegungen, Diskussionen, auch Pilotversuche zum dauerhaften Aufbau eines solchen sogenannten zweiten Arbeitsmarktes gibt es seit Jahren. Wie viel darf ein solcher Arbeitsplatz kosten? Wäre es denkbar, ihn nur mit den Aufwendungen für Arbeitslosengeld, Notstandshilfe oder Mindestsicherung zu finanzieren? Wie verhindere ich, dass dies in Konkurrenz zu regulären Arbeitsplätzen tritt, wie verhindere ich, dass hier Personen “abzweigen oder sich verfestigen”, die mit der richtigen Förderung doch noch produktiv am ersten Arbeitsmarkt teilhaben könnten? Sozialrechtsexperte Mazal, aber auch der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts Wifo, Karl Aiginger, und OECD-Migrationsexperte Thomas Liebig haben die Diskussion mit unterschiedlichen Ansätzen spannend weitergeführt. Aus arbeitsmarktpolitischer Sicht habe ich auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die vor dem Hintergrund der langjährigen deutschen Erfahrungen mit den Ein-Euro-Jobs sichtbar wurden. Es ist, vereinfacht gesagt, zwar möglich, aber gar nicht trivial, solche Jobs zu “erfinden”. Sie müssen drei Kriterien aufweisen: und zwar gemeinnützig, zusätzlich und wettbewerbsneutral sein.

Konkurrenz für reguläre Arbeitsplätze

Gute Ideen wären da in den jeweiligen Regionen vor Ort gefragt. Jede öffentliche Stelle, die Ein-Euro-Jobber einsetzt, tendiert nämlich– aus Budgetgründen, aber auch zum Wohle dieser Menschen — dazu, sich darum zu bemühen, die Arbeitskraft möglichst sinnvoll einzusetzen. Damit wächst klarerweise die Gefahr, dass damit in Konkurrenz zu regulären Arbeitsplätzen in der öffentlichen Einrichtung selbst (wenn zum Beispiel keine Nachbesetzungen mehr vorgenommen werden) oder in Zulieferbetrieben getreten wird. Selbst die als Beispiel genannte Schutzwegsicherung in der Nähe von Schulen wird derzeit neben Zivildienern auch von Polizisten verrichtet. Deutschland hatte in der “Spitzenzeit” mehrere hunderttausend Personen in den sogenannten “Ein-Euro-Jobs” — da die Entlohnung höchst unterschiedlich ausfällt, lautet die korrekte Bezeichnung übrigens “Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung”. Ursprünglich als Integrationsmaßnahme erfunden, ergaben die deutschen Evaluierungen, dass diese Ein-Euro-Jobs kaum zu Übertritten in reguläre Beschäftigung führten und — jedenfalls in der damaligen hohen Zahl — auch mit regulären Jobs konkurrierten. So wurde zum Beispiel ein Einbrechen offener Stellen im Pflegebereich wegen der Ein-Euro-Jobs beobachtet.

Gemeinnützige Arbeit hilft bei Integration

Der Vollständigkeit halber sei abschließend darauf hingewiesen, dass die von der deutschen Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) geplanten 100.000 Ein-Euro-Jobs für Geflüchtete in Deutschland nicht für Asylberechtigte, sondern für Personen im Asylverfahren angeboten werden sollen. Man denkt hier vor allem an Arbeiten im Umfeld von Flüchtlingsbetreuungseinrichtungen wie Essensausgabe — dies wird in Österreich teilweise derzeit auch von Zivildienern gemacht — und dergleichen. Ein Umstand, den ich abschließend bei allem Widerspruch besonders hervorheben möchte: Gemeinnützige Beschäftigung während des Asylverfahrens ist für die spätere Integration sehr hilfreich und sollte auch in Österreich — wiederum bei erhöhter Vorsicht vor dem Konkurrieren mit regulären Arbeitsplätzen — vermehrt angeboten werden.

Der Artikel erschien als Userkommentar am 22.6.2016 auf derstandard.at

 

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