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15
Nov
2024

Klimakrise: Kleben wir einen Seesaibling auf jeden Verhandlungstisch!

Klimapolitik. Die Zeit drängt, doch noch ist die Klimakrise in ihrem Ausmaß gestaltbar. Der kritische Erfolgsfaktor sind wir selbst.

Im vergangenen September haben wir – teilweise sogar als persönlich vom Hochwasser Betroffene – enorme Regenmengen erlebt. Anfang dieses Monats starben bei einer noch stärkeren Flut in Spanien über 200 Menschen. Obwohl einzelne Extremwetterereignisse nicht eindeutig dem Klimawandel zugeschrieben werden können, werden mit steigender Temperatur doch in vielen Regionen der Welt Wetterlagen wahrscheinlicher, die Überschwemmungen, Dürren oder andere bedrohliche Wetterereignisse auslösen können.

Ein lieber Freund von mir, der Innsbrucker Zoologe und Klimaforscher Günter Köck, verbringt seit 1997 im Rahmen des Forschungsprogramms „High Arctic“ jeden Sommer mehrere Wochen im hohen Norden Kanadas, um die mittlerweile auch mit freiem Auge sichtbaren Auswirkungen des Klimawandels auf die Arktis zu untersuchen. Eine seiner Aufgaben ist es, eine seltene Art von Seesaiblingen im Lake Hazen zu fischen. Der Lake Hazen hat etwa die Größe des Bodensees, liegt nur mehr 800km von Nordpol und ein paar hundert Kilometer von der nächsten, kleinen Siedlung im Süden entfernt. Eine scheinbar vollkommen unberührte Gegend, nur selten machen Inuit auf ihrem Weg zur Robbenjagt dort Rast. Der Schein trügt aber. Über Luftströmungen gelangen so viele Schadstoffe in die Region, dass die Fische durch eine zu hohe Quecksilberbelastung ungenießbar geworden sind und nicht mehr als Proviant für die Inuit genützt werden können.

Dr. Günter Köck, Lake Hazen. (c) Privat

Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo sie anderen Schaden zufügt

In der seriösen Wissenschaft besteht weltweit kein Zweifel: Wir erleben einen vom Menschen verursachten Klimawandel, der bereits jetzt gravierende Folgen für Menschen, Tiere, Pflanzen und noch weit schlimmere für unsere Kinder und deren Nachfahren haben wird. Wer dies nicht sieht, hat keine andere Meinung, sondern verdrängt, ist ignorant oder will absichtlich falsch informieren. Das aktuelle Jahr wird laut EU-Klimawandeldienst Copernicus das erste Jahr, in dem es im Durchschnitt mehr als 1,5 Grad wärmer war als im vorindustriellen Mittel. Die Entwicklung ist also bedrohlich und macht vielen – vor allem jungen – Menschen Angst. Eine Lösung ist aber alles andere als einfach, müsste gesamthaft gedacht werden, produziert Widerstand und Verlierer, schafft Verteilungsprobleme, verlangt Verhaltensänderungen und bräuchte auch politisch unpopuläre Entscheidungen.

Mit drei Argumenten vom Regen in die Traufe

Als Beiratsmitglied von Kontext – Institut für Klimafragen durfte ich heuer beim Forum Alpbach die Frage diskutieren, ob es mehr staatliche Eingriffe braucht, um die Klimakrise zu bewältigen, oder ob der Markt alles lösen kann. In der Vorbereitung bin ich auf das großartige Buch „The Rhetoric of Reaction“ des US- Sozialwissenschafters Albert O. Hirschman gestoßen. Der Autor findet in den letzten 200 Jahren drei zentrale Argumentationsmuster reaktionärer oder konservativer Kräfte, die immer wieder in politischen Debatten verwendet wurden, um grundlegende Veränderungen zu verhindern. Egal ob es um die Anliegen der französischen Revolution, die Einführung der Menschenrechte, Bemühungen zur Demokratisierung oder die Schaffung des modernen Sozialstaates ging:  In jedem Fall identifiziert Hirschman in seinem 1991 erschienenen Buch die gleichen drei Gegenargumente. Spannend ist dabei: alle drei werden heute auch in den Diskussionen zur Klimakrise verwendet.

Erstens, die Perversity-These, das Perversionsargument, wonach jede gutgemeinte Handlung angeblich genau das Gegenteil von dem bewirkt, was beabsichtigt war. So wurde zum Beispiel bei Einführung der Sozialhilfe argumentiert, sie schaffe nicht weniger, sondern mehr Armut, weil sie nur die Eigeninitiative der Betroffenen schwächt. Kritiker strengerer Umweltauflagen argumentieren heute genauso. Die Produktion werde durch solche Gesetze nur in Länder verlagert, die noch viel niedrigere Standards haben, weshalb der CO2 Ausstoß sogar noch zunehmen werde.

Zweitens die Futility-These, das Sinnlosigkeitsargument: Gegner des allgemeinen Wahlrechts wie Vilfredo Pareto und Gaetano Mosca behaupteten etwa, dass demokratische Reformen die Machtverhältnisse in der Gesellschaft nicht verändern würden. Ähnliches wurde später auch gegen das Frauenwahlrecht vorgebracht. Erinnern wir uns nun an die Diskussionen zu Tempo 100 auf unseren Autobahnen. „Was solle diese Lächerlichkeit bringen, wenn gleichzeitig die Schwerindustrie in Indien oder Russland…“

Drittens die Jeopardy-These, das Gefährlichkeitsargument: Hier wird gewarnt, dass die angestrebte Reform zwar möglicherweise richtige Ziele verfolge, aber wichtigere, bereits bestehende Errungenschaften gefährde. Ein möglicher Nutzen wiege weit geringer als der wahrscheinliche Schaden. Historisch wurde etwa argumentiert, dass demokratische Reformen die Freiheitsrechte vernichten. Die Zerstörung der europäischen Wirtschaft steht angeblich heute beim Klimaschutz auf dem Spiel.

Diese drei Argumentationen lassen sich leicht gegen beinahe jede große Reform einwenden, vom Steuerrecht bis zur Drogenpolitik. Das Problem oder, je nach Sichtweise, der Vorteil dieser beliebig kombinierbaren Einwände liegt aber darin, dass sie keine Evidenz verlangen, überzeugend einfach erscheinen und jede sachliche Diskussion rasch beenden. So ist es leicht und bequem nichts wirklich ändern zu müssen.

Ein politisches Amt heißt aber Verantwortung übernehmen

Die Klimakrise ist nicht unvermeidlich, sondern in ihrem Ausmaß noch gestaltbar, technischer Fortschritt wird uns isoliert nicht retten und der Umstand, dass ein kleines Land allein nicht viel bewirken kann, ist keine Entschuldigung, sondern ein Auftrag Allianzen zu bilden. Politik machen heißt auch Verständnis für Notwendiges erzeugen und Emotionen managen. Beauftragen wir die besten Agenturen unseres Landes, um Reformnotwendigkeiten und Zusammenhänge zu erklären, stärken wir regionale Initiativen, managen wir Verlustängste und nehmen den Jungen die Angst vor dem Weltuntergang, indem wir ihnen individuelle Handlungsoptionen aufzeigen. Der kritische Erfolgsfaktor für das Gelingen der ökologischen Transformation sind wir selbst.

Ein Seesaibling auf jedem Verhandlungstisch würde dabei nicht nur an das Thema erinnern, sondern auch olfaktorisch den Zeitdruck rasch klarmachen. Denn die künftige Bundesregierung ist die letzte, die für die Einhaltung der Klimaziele 2030 entscheidend und auch verantwortlich ist. Bei gutem Willen ist viel möglich, das hat etwa die Initiative #mehrgrips mit ihrem Konzept zur ökologischen Transition bereits bewiesen. Es finden sich darin sinnvolle Maßnahmen, auf die sich Klimaschützer_innen und Industrievertreter_innen einigen konnten.
Uns allen sei abschließend gesagt, dass wir uns nicht zu viel vor den notwendigen Veränderungen fürchten sollten. Ich bin sicher, wir finden neue Lösungen für das, was heute noch normal ist. Erinnern wir uns an die Diskussionen zum Nichtraucherschutz. Wie oft hat es geheißen, unsere Gastronomie werde sterben und unsere persönliche Freiheit begraben? So wie beim Rauchen, werden wir uns auch beim Klimaschutz an eine neue, wahrscheinlich sogar bessere Wirklichkeit gewöhnen. Heute können wir uns ja auch kaum mehr vorstellen, dass es völlig normal war, dass etwa mein Vater mit vier kleinen Kindern im Auto immer geraucht hat und auch in Zügen und Flugzeugen der blaue Dunst stand. Ich vermute in 20 Jahren werden wir uns auch kaum mehr vorstellen können, wie wir damals die Luft verschmutzten.

Hinweis: Dieser Kommentar erschien leicht gekürzt auch am 16.11.2024 in der Tageszeitung Die Presse.

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