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15
Nov
2023

Streiten wir im Wirtshaus, steuern wir in den Schulen.

So wie im Bereich der Bildung lässt es sich auch im arbeitsmarktpolitischen Kontext mit den unterschiedlichsten Überzeugungen beherzt darüber diskutieren, nach welchen Kriterien die Arbeit jeder der mehr als 100 regionalen AMS- Geschäftsstellen beurteilt werden kann. Denn wie sollen Arbeitssuchende eigentlich optimal betreut werden, was sind die jeweils richtigen Fördermaßnahmen, wie organisiert man Kund_innenberatung erfolgreich? Und was heißt überhaupt erfolgreich? Über all dies lässt sich trefflich streiten.

Genauso wie über Maßnahmen im Bildungsbereich. Denn auch dort bleiben tausende Schulversuche oft ohne objektive Evaluation und daher Vorbildwirkung oder Verbreitung. Weil fundamental unterschiedliche ideologische Positionen und viel zu wenig Evidenzprüfung meist jede Schulwahl zu einer Frage des Gefühls oder einer privaten Empfehlung macht.

Die AMS Balanced Scorecard

Das AMS hat sich vor mehr als 20 Jahren durch die Einführung „seiner“ Balanced Scorecard“ in der Unternehmenssteuerung dafür entschieden, die so zahlreichen ideologischen Diskussionen weitestgehend aus seinen Sitzungsräumen zu verbannen und möglichst auf die lokalen Wirtshaustische oder ins Parlament zu verlagern.

Die Balanced Scorecard (BSC) ist ein strategisches Management- und Messsystem, das eine ausgewogene Sicht auf die Leistung eines Unternehmens bietet, indem es sowohl finanzielle als auch nicht-finanzielle Kennzahlen berücksichtigt. Anhand von etwa 30 Indikatoren wie zum Beispiel Schulungseffektivität, arbeitsmarktpolitische Zielerreichung oder – am stärksten gewichtet – Kund_innenzufriedenheit lässt sich die Leistung jeder einzelnen AMS-Geschäftsstelle laufend auf unseren Dashboards ablesen. Viel Investment in Forschung, Technik und auch Kommunikation haben dabei sichergestellt, dass wir unsere rund 100 durchaus unterschiedlichen Geschäftsstellen dabei fair – und weitestgehend auch als fair empfunden – ranken können. Und durch eine Berücksichtigung der unterschiedlichen Rahmenbedingungen wie z.B. der regionalen Wirtschaftssituation oder der Arbeitssuchenden-struktur lässt sich so sagen, wer insgesamt, aber auch in Teilbereichen, noch besser werden kann. Und nicht nur ein Prämiensystem belohnt hierbei die Leistung, sondern wir zeichnen auch jedes Jahr unsere besten Geschäftsstellen in einer sehr wertschätzenden Festveranstaltung aus. Diese Art der AMS-Steuerung hat dazu geführt, dass sich gute Praxis im AMS rasch weiterverbreitet. Und so besuchen zum Beispiel viele Kolleg_innen laufend andere Geschäftsstellen um rauszufinden, warum in einer bestimmten Region mehr Unternehmen dem AMS ihre offene Stellen melden oder warum es dort im Verfahren zu weniger Bescheidaufhebungen kommt.

Die Vorteile einer solchen Steuerung von Organisationen konnte ich schon vielfach auch international, sogar in Washington oder beim Arbeitsministerium in Peking, präsentieren.

Wir freuen uns natürlich, wenn unsere besten Geschäftsstellen im Laufe der Jahre dadurch noch etwas besser geworden sind. Was aber für uns noch viel wichtiger ist: Unsere schwachen Geschäftsstellen haben ihren Abstand zu den exzellenten massiv reduziert und damit die Gesamtperformance des AMS deutlich gesteigert.

Die BSC des AMS als Vorbild für unsere Schulen

In diesem Sinne meine ich: Auch in unseren Schulen und sonstigen Bildungseinrichtungen täte uns mehr Evidenz statt Ideologie gut. Und gleich das Beste vorweg: Es gibt die dafür wesentliche Datengrundlage bereits seit mehr als 10 Jahren: Statistik Austria hat eine Vollerhebung jeder Person, die seit 2008 eine formale Ausbildung begonnen oder abgeschlossen hat.  Damit haben wir im Jahr 2012 dann in einem komplexen und lange vorbereiteten Gemeinschaftsprojekt zwischen der Statistik Austria, dem Arbeitsministerium und dem AMS erstmals unsere Daten des Arbeitsmarktes mit denen des Bildungssystems anonymisiert verschnitten. Und so im AMS eine wunderbare Datengrundlage für unsere Berufs- und Bildungsberatung geschaffen.

Mit BIBER, dem „BildungsBezogenem Erwerbskarrierenmonitoring“ ließe sich aber auch genau beobachten, was aus Absolvent_innen jeder einzelnen Schule oder Universität in Österreich weiter wird. Wie viele Maturanten aus jenem Gymnasium brechen ihr Studium ab? Was verdienen die Absolventen eines konkreten Studiums an jener FH oder an einer anderen? Wie viel Prozent der Pflichtschulabsolventen zweier unterschiedlicher Neuen Mittelschulen sind nach 18 Monaten arbeitslos, in einer Lehrstelle, in Beschäftigung oder gar nicht am Arbeitsmarkt? All diese Daten gibt es, man muss sie nur nützen wollen.

Ich habe seit 2012 mehrere Bildungsminister_innen persönlich besucht und für dieses Vorhaben geworben. Ich kann nicht sagen, woran es tatsächlich scheitert, aber der konkrete Einsatz ist bis heute minimal. Dabei können datengesteuerte Erkenntnisse dazu beitragen, die Stärken und Schwächen jeder Bildungsinstitution zu bestimmen und die Qualität der Ausbildung kontinuierlich zu verbessern. Statistik Austria verfügt zudem auch über zahlreiche Daten zum soziodemographischen Hintergrund der Schüler_innen, sodass ein fairer Vergleich auch hier möglich wäre. Vielleicht ist ja jenes Döblinger Gymnasium, dass so viele ausgezeichnete Student_innen hervorbringt, in Wirklichkeit gar nicht besser, als jene Floridsdorfer Schule, die mit einem so hohen Anteil an Kindern aus bildungsfernen Familien oder mit Migrationshintergrund in Wirklichkeit Unglaubliches leistet.

Der flächendeckende Einsatz dieses Systems würde aber auch die Transparenz und Rechenschaftspflicht im gesamten Bildungsbereich erheblich erhöhen. Wir könnten besser beurteilen, wie effizient und effektiv unsere Bildungspolitiken und -programme wirklich sind. Was nützt, was schadet die Gesamtschule?

Klar ist, die Vorbereitung auf den Arbeitsmarkt ist nur eine der Aufgaben unserer Bildungseinrichtungen. Denn Bildung hat auch an sich einen Wert für die Persönlichkeit. Doch auch dazu gibt es zB mit den regelmäßigen Überprüfungen des Bildungsstandards und der Ergebnisse der Zentralmatura einen großen Datenkörper. Und was es für meinen Vorschlag meines Erachtens noch zusätzlich bräuchte, ist eine flächendeckende Erhebung der Lehrer, Eltern und Schüler-Zufriedenheit. Aus all dem und noch anderen Daten könnte man dann eine wunderbare Balance Scorecard für Österreichs Bildungseinrichtungen bauen und so unser Bildungssystem endlich durch Evidenz und nicht bloß durch ideologische Diskussionen besser machen.

Dieser Beitrag erschien auch leicht gekürzt im November 2023 in dem Buch: Ideen, die geh’n, Edition Kleine Zeitung, 2023, ISBN: 978-3-903323-25-4

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2 Responses

  1. Gebhard.ottacher@teachforaustria.at

    Ja, ein super und auch tatsächlich umsetzbarer Vorschlag.
    Das wäre eine echte Verbesserung!
    Voraussetzung dafür ist freilich ein Paradigmenwechsel im Bildungssystem oder zumindest auf der dortigen Führungsebene. Steuern anhand von Daten hat bisher wenig Anhänger bzw Befürworter.

  2. H. Koller

    Wenn BSC – dann aber richtig!
    1. Eine BSC ist ein bekanntes Tool/Werkzeug der Unternehmensführung. Betonung sollte auf Werkzeug liegen, kommt es doch oft zu verängnisvollen Verwechslungen. Ein (noch so hochentwickelter) Hammer bringt keinen Nagel in die Wand. Erst der (gelernte) Umgang mit einem Werkzeug (Ausbildung der Lehrer aber auch Organisation und (Unternehmens-)Kultur an der Schule) ermögliche die Vollendung.
    2. In Unternehmen wird das gerne übersehen und das Vorhandensein eines Werkezug für der (erfolgreichen) Anwendung verwechselt. Wer jemals in einem Betrieb mit Kennzahlen gearbeitet hat, wird womöglich erfahren haben, wie ‘kreativ’ man mit solchen Werkzeugen umgehen kann. Allerdings nicht um zu steuern, sondern für unverfängliche Werte zu sorgen.
    3. Ein Grundsatz für Kennzahlen ist, dass ein Prozess (Organisation) das Ergebnis liefert, das dann ggf. mit einer Kennzahl auf Veränderung beobachtet werden kann (steuern).
    4. Ohne bekannten Prozess entfällt die Steuerbarkeit und die Kennzahl bekommt eher den Charakter einer Zufallszahl.
    5. Welche Pilotin würde mit 30 Messmitteln (BSC AMS) ein Flugzeug steuern wollen? Hätte sie noch Zeit zum fliegen?
    6. Was machen erfolgreiche Unternehmen? Sie setzen auf Standards (Prozesse) die sie mit Ihren Mitarbeitern entwickeln und umsetzen.