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17
Apr
2019

Arbeitsmarktpolitik: Soziale Investitionen oder bloße Kosten?

Zahlt sich das Zahlen aus?

Über Wirkung, Evaluation, Input, Output und Outcome der Förderungen des Arbeitsmarktservice (AMS).

Wissen wir eigentlich, wieviel der Staat Österreich pro Jahr ausgibt?

Staatsausgaben 2018:  € 187,2 Mrd 

Das waren 2018 gerechnet pro Einwohner/in rund 21.000 €! Da ist es wohl vernünftig, die Sinnhaftigkeit und Angemessenheit aller öffentlichen Ausgaben ständig zu hinterfragen und auch regelmäßig Evaluierungen von Wirkung und Nutzen zu verlangen. In diesem Sinne:

Zwei Jahre sinkender Arbeitslosigkeit und der Wunsch nach einem ausgeglichenen Budget brachten natürlich auch das Förderbudget des AMS politisch „unter Druck“. Dass aber die Kürzungen des AMS-Budgets 2019 gegenüber 2018 relativ moderat ausfielen und in etwa dem realen Rückgang der Arbeitslosigkeit entsprachen, lag wohl auch daran, dass Arbeitsmarktpolitik laut Dr. Helmut Mahringer vom WIFO zu den „am besten evaluierten Politikbereichen in Österreich“ gehört und damit Wirkung und Nutzen laufend gut belegen kann. Dieser gegenüber anderen Politikbereichen hohe Grad sowie die lange Tradition der Evaluation von Arbeitsmarktpolitik in Österreich liegt wohl auch daran, dass Sozialausgaben in der öffentlichen Diskussion früher generell vor allem als reine Kosten des Sozialstaates betrachtet wurden, der sich dafür auch immer wieder rechtfertigen musste. Dass aber Arbeitsmarktpolitik – wie auch weite Teile der Bildungsausgaben – als soziale Investitionen, die nachweisbar auch ein Return on Investment erbringen, gesehen werden müssen, ist erst in neuerer Zeit zunehmend in das Bewusstsein von Politik und Öffentlichkeit gelangt.

Das AMS führt seit Jahrzehnten eine flächendeckende Erfolgsmessung aller seiner Förderungen unter Nutzung der Daten des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger durch. Ein ausgefeiltes Kennzahlensystem, das von der EU als Vorzeigebeispiel für andere Länder gewertet wird, beobachtet dabei laufend den kurz- und langfristigen Arbeitsmarkterfolg jeder einzelnen AMS Fördermaßnahme. Die darauffolgende Beurteilung allerdings muss jeweils differenziert erfolgen. Denn wenn etwa ein Wiener Projekt für langzeitarbeitslose, ältere Menschen es schafft, 30% der Teilnehmer/innen in nicht bloß kurzfristige Beschäftigung zu bringen, so ist dies durchaus als Erfolg zu werten, während uns etwa eine doppelt so hohe Erfolgsquote bei teuren, betriebsnahen Schulungen dringend benötigter Industriearbeitskräfte in Oberösterreich nicht genügen würde.

Neben der laufenden Beobachtung der Beschäftigungsintegration durch das AMS selbst werden natürlich auch immer wieder externe Evaluierungen durch unabhängige Forschungseinrichtungen vorgenommen. Dabei stellt auch die Einkommensentwicklung vor und nach der Teilnahme an einer Weiterbildungsförderung bzw. im Vergleich zu einer Kontrollgruppe einen wichtigen Erfolgsindikator dar. Als aktuelles Beispiel dafür ist etwa der Evaluationsbericht von Synthesis Forschung zur AMS-Qualifizierungsförderung für Beschäftige anzusehen. Bei dieser Förderung refundiert das AMS den Unternehmen die Hälfte ihrer Schulungs- und unter bestimmten Bedingungen auch der Personalkosten, wenn sie aus ihrer Belegschaft Männer mit maximal Pflichtschulabschluss, Frauen mit maximal Lehrabschluss bzw. alle Arbeitskräfte ab einem Alter von 45 Jahren qualifizieren. Denn genau diese Gruppen werden in die „normale“, betriebliche Weiterbildung eindeutig unterdurchschnittlich einbezogen. Und die Ergebnisse dieser Evaluation können sich durchaus sehen lassen: Die geförderten, qualifizierten Personen erzielten danach im Vergleich zur Kontrollgruppe im Durchschnitt ein um 3.005 € höheres Jahreseinkommen und standen durchschnittlich um 43 Tage mehr in Beschäftigung. Zeiten von Arbeitslosigkeit konnten also reduziert oder sogar gänzlich verhindert werden, wobei Personen mit lediglich Pflichtschulabschluss dabei sogar überdurchschnittlich profitierten: Bei ihnen lag das Jahreseinkommen um 4.888 € höher bzw. sie wiesen ein Beschäftigungsplus von 74 Tagen aus. Synthesis-Forschung errechnete bei 15.205 untersuchten Förderfällen mit Förderkosten von 21,7 Mio € eine zusätzliche Wertschöpfung im Folgejahr in der Höhe von 45,7 Mio € und damit eine Rendite von 210%.

Aber auch diverse Evaluationen der unmittelbaren Tätigkeit der AMS-Mitarbeiter/innen selbst können sich durchaus sehen lassen. So stellte etwa das WIFO in seinem Bericht „Die Wirkung zentraler Interventionen im Prozess der Vermittlung“ im Jahre 2016 fest, dass Vermittlungsvorschläge des AMS vor allem in den ersten vier Wochen der Arbeitslosigkeit besonders wirksam sind und die Erfolgsraten – geprüft nach 12 Wochen – zwischen 23% und 37% höher liegen, als bei Personen, die ohne entsprechende AMS-Stellenvorschläge Arbeit suchten.

Natürlich erfreut die Mitarbeiter/innen des AMS eine derart positive Evaluierung ihres Einsatzes. Und man traut sich auch noch mehr zu. Denn wie 2017 ein wissenschaftlich begleiteter Pilotversuch der Linzer und einer Wiener AMS-Geschäftsstelle ergab, führt ein noch intensiverer Personaleinsatz beim AMS nicht nur zu einer verbesserten Kundinnen- und Kundenbetreuung, sondern rechnet sich auch deutlich für die Arbeitslosenversicherung selbst: Über ein Jahr lang wurde bei diesem Projekt der Personaleinsatz für einen per Zufall ausgewählten Teil der arbeitssuchenden Menschen deutlich erhöht und so 14-tägige AMS Beratungstermine ermöglicht. Durch diese verstärkte Betreuung fanden viele Menschen signifikant schneller wieder zurück in Arbeit. Das heißt, dass laut Endbericht des WIFO den zusätzlichen AMS-Personalkosten von 1,15 Mio. € tatsächliche Einsparungen in der Arbeitslosenversicherung von 4,63 Mio. € gegenüber standen. (Studientitel: „Die Auswirkungen einer verbesserten Betreuungsrelation für Arbeitslose in der Arbeitsvermittlung des AMS“)

Aber natürlich: Wer seine Arbeit ständigen Evaluierungen unterzieht, riskiert auch, dass mitunter Misserfolg konstatiert wird. Hier ein Beispiel:

Als eine Folge der IHS-Studie „Evaluation der Bildungskarenz 2000-2009“, die aufzeigte, dass vor allem gut qualifizierte Menschen Bildungskarenz in Anspruch nahmen, wurde in mehreren Verhandlungsrunden zwischen Sozialministerium, Sozialpartnern und AMS zusätzlich die neue Bildungsteilzeit erfunden, die seit dem Jahr 2013 in Kraft ist. Bei den damaligen Gesprächen habe auch ich die Idee vertreten, das Modell für niedriger qualifizierte Menschen, also in der Regel für jene mit niedrigerem Einkommen, attraktiver zu machen. Und so entschied man sich damals für eine vom Einkommen unabhängige Bildungsteilzeitgeld-Pauschale (derzeit bei 50% Arbeitszeitreduktion 492 €/Monat). Spätere Auswertungen zeigten jedoch, dass dieser ökonomische Anreiz nicht ausreichte, und dass es bis heute vor allem gut qualifizierte Menschen sind, die die Bildungsteilzeit in Anspruch nehmen. Denn die mit höherer Erstausbildung steigende Bildungsneigung und Bildungseignung wirken offenbar stärker, sodass unser ursprüngliches Ziel, vermehrt niedriger qualifizierte Menschen zu unterstützen, so nicht erreicht wurde.

Ein Misserfolg, der auch anspornt:
Wir dürfen – müssen – weiter nachdenken.

(Alle genannten und viele weitere Evaluierungen finden sich im AMS Forschungsnetzwerk)

Der Beitrag erschien auch als Gastkommentar im Wirtschaftsmagazin “Gewinn extra” im April 2019. (nicht online)

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